DeutschFrançaisEnglish
   
 
   
   
   
 
 
     
   
 

 


LESEPROBE

Wer heute über blumensprossende Auen jenes liebliche Tal bewandert, durch das die Enns ihre schäumende Flut der Donau entgegenführt, der sieht wohl bereits von fern einen ungeheuren Berg in gebietender Majestät sich über das Land erheben. Wohl mögen bei demselben Anblick wir für ein Weilchen innehalten und in Ehrfurcht stillstehen vor der unbezwinglichen Gewalt, mit welcher der steingewordene Riese die enge Brust des Wanderers erfüllt, wie mit himmelhohen Mauern und firnerfüllter Kluft er gleichsam bis an die Grenzen des Himmels zu ragen scheint; doch froh und heiter wird’s dem Wanderer im Gemüte, sowie er die anmutige Gegend ringsum gewahrt, und mutig fördert er seine Schritte fürbaß, dem Berge entgegen, der ihm nun zu einem vertrauten Weiser, ja gleichsam zu seinem befreundten Begleiter wird! Und tritt er wenig später gar über eines freundlichen Rasthauses Schwelle, so wird ihm auf seine bange Frage wohl die Antwort, daß er den mächtigen Grimming gesehen habe!
Vor einigen hundert Jahren, einer Zeit, da nur wenige Menschen das öde Tal bewohnten und Wölfe und Bären in großer Zahl in den ringsum gelegenen Wäldern hausten, lebte ein armer Bettelmönch in seiner Klause, welche sich in einer finstern Kluft zu Füßen des ungeheuren Berges befand. Dieselbe Klause hatte in früheren Zeiten den Menschen jener Gegend zur Holztrift gedient, doch die Unbill, welche ihnen durch den Berg mit seinen mannigfachen Gefahren erwuchs, hatte die Leute von dem unwirtlichen Orte vertrieben und sie an freundlichere Stätten gewiesen, wo sie jenes ihnen so notwendige Geschäft betreiben konnten, ohne sich den vielen Gefahren auszusetzen, mit denen der Berg sie bisweilen bedräute! Indes war eines Tages der Bettelmönch ins Tal gekommen und hatte, da er sommers kräutersammelnd durch den Forst strich, jene verlassenen Klause als seine Wohnstatt sich erkoren. Den Menschen des Tales war der Alte anfangs eine wunderliche Erscheinung, und wohl erzählte man sich zuweilen gar seltsame Märlein über ihn; doch gar manchereiner, der eine vertrauliche Rede mit ihm geführt hatte, meinte, daß er ein ebenso frommer als höchst gescheuter Mann sei, und wohl hatte den kundigen Alten schon manch ein Talbewohner bei allerlei Nöten zu Rate gezogen. So stand er bei den Bewohnern des Tales allenthalben im Geruche eines Menschen mit höhern Kräften, wie denn der Aberglaube in den Tälern der Alpen, wo die Menschen sich jahrein, jahraus den strengen Naturgewalten ausgeliefert sahen, stets reger zu wurzeln pflegte als im aufgeklärten Getriebe der Städte. Von den Menschen des Tales ward der Mönch, der im Geklüft zu Füßen des Berges hauste, der „Waldrauscher“ genannt. Die Menschen, die in jener Zeit das Tal bewohnten, fristeten daselbst noch ein hartes Dasein. Die Mehrzahl von ihnen waren Bauern, Fischer, Jäger oder wackere Zunftgenossen, je nachdem, wie die Gewohnheiten und Sitten ihrer Vorfahren es gefügt hatten. Gar lieblich war der Sommer im Tal, da blumenreich alle Halden waren und der Tann von den Hängen grünte, doch wild und grimmig der Winter, wenn alles Leben in Frost und Eis erstarrte und der Berg durch Felsstürze und Lawinen mannigfaches Unheil über die Menschen brachte – doch ob er sein mächtiges Haupt nun über grünem Blumenanger oder tiefverschneitem Forste erhob, der Berg galt dem Volk jener Zeit als mons styriae altissimus, als der Höchste im Steirerlande, da er gar gewaltiglich sich über dem Talgrunde erhob, wie man seinesgleichen denn kein Zweitesmal fund!
Jener Bettelmönch, der also von den Bewohnern des Tales der „Waldrauscher“ geheißen ward, wohnte jahrein, jahraus in derselben Klause, einem gar ärmlichen Hüttlein, das in enger Schlucht sich an die überhängenden Felsen schmiegte, durch welche die wilden Gewässer brausten, und füglich ward jener ungastliche Ort von den Menschen in höchst treffender Weise der „Einödgraben“ genannt. Metertief türmte daselbst sich zur Winterszeit der Schnee, sodaß der wackere Mann oftmals wochenlang kaum einen Schritt vor die Tür zu setzen vermochte; auch verwunderte es die Menschen gar sehr, wie er in seiner abgeschiedenen Wohnung, fernab von seinesgleichen, immerzu für sich alleine fortleben könne! Indes der Mönch lebte daselbst in stiller Eintracht mit sich selbst, denn weder suchte er die Gesellschaft der Menschen noch mied er sie, und wenn es zuweilen geschah, daß jemand an seine Tür pochte und sich in einer bestimmten Sache seinen Rat erbat, da ward nie vernommen, daß er jemals einen von der Schwelle gewiesen oder jemand seine Hilfe versagt hätte; vielmehr stand der wunderliche Alte im Geruche, ein höchst gottesfürchtiger Mann zu sein, was ihm nachgerade das Wohlwollen und die Achtung vieler Menschen eintrug. Indes der alte Mönch liebte sein friedliches und geruhsames Leben in den Klüften des mächtigen Grimming, wo der Bär und die Luchskatze hausten, hing an dem freien Leben im Forste, wo er allerlei heilkräftige Pflanzen und nutzbares Kraut sammelte, und betrachtete seinerseits mit einer Art von seltsamer Verwunderung das Leben der übrigen Menschen, welche im Schweiße ihres Alltages sich abmühten, ein einigermaßen erträgliches Leben zu führen, was, wie wir wissen, je schwieriger wird, je habsüchtiger die Menschen sind.
Nun lebte zur selben Zeit in dem kleinen Dorfe zu Pürgg eine arme Waise, welche eine gar holde Jungfrau war und mit Namen Christine hieß. Christine war armer Leute Kind und ihre Eltern bald nach der Geburt gestorben, sodaß das Mägdlein bei seiner Großmutter aufwuchs, welche zwar arm, dafür aber gottesfürchtig und fromm war! Als das Kind etwa zehn Jahre alt war, starb zuletzt auch die Großmutter, und da sich sonst niemand mehr fand, der für ihns gesorgt hätte, ward es nach allgemeinem Ratschluß zu einem entfernten Verwandten gegeben, dem reichsten Bauern der ganzen Umgebung, wo es alsbald als Magd sich verdingen mußte! Der Bauer war von roher Wesensart und sehr habgierig, denn was er nur irgend zu erraffen imstande war, das freilich nannte er bald sein, und da er denn auch sein ganzes Gesind, die Knechte und Mägde, ja selbst sein eigen Weib und Kind als sein Eigentum betrachtete, mit dem er nach seinem Gutdünken verfahren konnte, wie es ihm gerade in den Sinn kam, da konnte man sich wohl vorstellen, wie es dem armen Mägdlein bei demselben erging! Noch ein zartes Kind, mußte es bereits die härteste Arbeit tun, mußte ohne Unterlaß im Stall oder auf dem Felde zugange sein, und wenn der Bauer abends vom Wirtshause kam, da hatte es ihm sogleich das Bad zu rüsten und den Tisch zu bestellen. Nie erhielt es ein gütig Wort, nie ward es gelobt, sondern konnte im Gegenteil noch froh sein, wenn es ohne allzugroße Schelte davonkam! Geduldig und in frommer Ergebenheit fügte Christine sich des Bauers groben Mißhandlungen, und wohl mochte es, wenn er sich in der übelsten Laune befand, vorkommen, daß er der Ärmsten eine ordentliche Tracht Prügel aufzählte! Die Leute bedauerten wohl das arme Kind, daß es bei einem solchen Schinder, wie der Bauer es war, sein Dasein fristen mußte, doch niemand getraute sich wider den argen Menschen aufzubegehren – und das umso mehr, als viele bei demselben in Schulden stunden und jedermann wußte, woran er mit ihm war! So war das arme Kind also ganz und gar der Willkür des reichen Bauern zu Pürgg ausgeliefert und schien gleichsam bis an sein Lebensende dazu verdammt, die geringsten Dienste zu tun, die man sich jemals nur vorstellen konnte!
Indes alle Demütigungen und Mißhandlungen vermochten nichts über das fromme Mägdlein, welches niemals über sein unglückliches Schicksal wehklagte, sondern nur heimlich zuweilen in seinem Kämmerlein die bittersten Tränen vergoß, wenn es zu Gott betete, so wie es die Großmutter ihns gelehrt hatte! Stets dachte es, Gott erhöre es, es wolle nur recht in Geduld sich üben, dann werde Gott es ganz gewiß von seinem Leid erlösen! Voll des Gottvertrauens betete das Mägdlein Tag für Tag, doch Christinens Not schien immerfort schlimmer zu werden! Der Bauer hatte nämlich bemerkt, wie das Mägdlein unterdes zu einer allerliebsten Jungfrau herangewachsen war; er dachte nämlich bei sich selbsten, so recht nach schlechter Menschen Art, da ließe sich doch gewiß etwas anstellen damit, das Mädchen sei zwar sonst ein recht nutzloses Geschöpf, das zu nichts weiter tauge und welches er nur gnadenhalber an seinem Herd behielt, doch schien es ihm gar fein von Wuchs, das lange, blonde Flachshaar und der rote Mund gefielen ihm nicht übel, und ei! da ließe sich doch gewiß etwas Rechtes damit anfangen! Welch bübische Gedanken sich dabei des Ruchlosen bemächtigten, brauchen wir dem Leser nicht wohl auseinanderzusetzen; genug, es war an dem, daß er bemerkt hatte, wie ausnehmend hübsch die Jungfrau geworden war, und dieser Umstand war für ihn Anlaß genug, Christinen von nun an auf die unverschämteste Weise nachzustellen. Wohl hatten auch die übrigen Bewohner des Hofes von den frevelhaften Gelüsten des Bauern vernommen, doch die Furcht, welche sie ihm, dem Tyrannen gegenüber, empfanden, verschloß ihnen Auge und Mund, und so wagte niemand es, dem Mägdlein in seiner Bedrängnis beizustehen! Christinen ward ihr Dasein immer unerträglicher: waren es ehemals nur des Bauern gröblichen Worte und Schläge gewesen, welche sie zu erdulden gehabt, so war ihr seine zudringliche Brunst, mit der er nun ein Schäferstündchen zu erlangen hoffte, noch in viel größerem Maße zuwider! Bei allerlei Gelegenheiten, wo die Ärmste sich bei ihren Geschäften alleine befand, setzte ihr der Ruchlose mit lästerlichen Worten und Redensarten zu, sodaß sie häufig schier nicht mehr wußte, wie sie sich seiner zu erwehren gedachte; ja, manchesmal ging sein frevelhaftes Begehren so weit, daß sie nur durch rasche Flucht sich dem Zugriff des Wüterichs zu entziehen vermochte! An allen Gliedern zitternd, lag Christine abends in ihrem Kämmerlein auf den Knien und flehte Gott mit den innigsten Tränen um Beistand wider ihren Peiniger an! Allein ihre bittersten Tränen schienen keine Linderung zu erflehen, ihre inbrünstigsten Gebete keinen Zuspruch zu erfahren!




Zurück