186
Was versprecht ihr mir schließlich – denn zehn Jahre sind der Wetteinsatz [1] – als zehn Jahre der Selbstgefälligkeit, in denen man wohl zu gefallen versuchte, ohne dabei etwas zu erreichen außer den sicheren Leiden?
187
Man muß den folgenden, unterschiedlichen Voraussetzungen entsprechend anders in der Welt leben:
So, als ob man immer in ihr leben könnte.
Als ob es sicher sei, daß man nicht für lange in ihr leben wird, und ungewiß, ob man eine Stunde in ihr leben wird.
Diese letzte Voraussetzung ist die unsere.
Herz.
Instinkt.
Grundsätze.
188
Jene Atheisten beklagen, die suchen; denn sind sie nicht schon unglücklich genug? Jene mit Schmähungen überhäufen, die sich dessen rühmen.
189
Der Atheismus ist ein Zeichen von Geistesstärke
Aber nur bis zu einem gewissen Grade.
190
Bei den Spielen [3] müßt ihr euch anstrengen, die Wahrheit zu suchen, denn wenn ihr sterbt, ohne das wahre Prinzip zu verehren, seid ihr verloren. – „Aber“, sagt ihr, „hätte er gewollt, daß ich ihn verehrte, so hätte er mir Zeichen seines Willens gegeben.“ – Er hat dies auch getan, aber ihr mißachtet sie. Sucht sie also; es ist dergleichen wohl wert.
191
Wenn man acht Tage des Lebens hingeben muß, so muß man einhundert Jahre hingeben.
192
Es gibt nur dreierlei Arten von Menschen: die einen, die Gott dienen, da sie ihn gefunden haben, die anderen, die sich bemühen, ihn zu suchen, da sie ihn nicht gefunden haben, und die übrigen, welche dahinleben, ohne ihn zu suchen und ohne ihn gefunden zu haben. Die ersteren sind vernünftig und glücklich, die letztern sind töricht und unglücklich, jene in der Mitte sind unglücklich und vernünftig.
193
Die Behauptungen der Atheisten müssen vollkommen klar sein. Nun ist es aber keineswegs vollkommen klar, daß die Seele stofflich sei.
194
Damit anfangen, die Ungläubigen zu beklagen; sie sind durch ihre Lage unglücklich genug.
Man sollte ihnen keinen Schimpf antun, außer im Falle, wo dergleichen nützlich wäre, aber das schadet ihnen nur.
195
Wenn ein Mann in einem Kerker schmachtet und nicht weiß, ob sein Urteil gefällt ist, und wenn er nur mehr eine Stunde Frist hat, um es zu erfahren und diese Stunde ausreicht, sobald er weiß, daß das Urteil gefällt ist, um es aufheben zu lassen; so ist es wider die Natur, wenn er diese Stunde nicht dazu benützt, sich zu unterrichten, ob das Urteil gefällt ist, sondern um Pikett zu spielen.
So ist es auch unnatürlich, daß der Mensch sich mit so vielen unwesentlichen Dingen dieses Lebens beschäftigt und sich gleichgültig darüber zeigt, was nach seinem Tod geschehen wird (siehe Fragment Nr. 681). Dergleichen ist eine Beschwernis durch die Hand Gottes.
Allein Gott wird nicht nur durch den Eifer jener bewiesen, die ihn suchen, sondern ebenso durch die Verblendung jener, die ihn nicht suchen.
196
Kerker.
Ich finde es gut, daß man die kopernikanische Lehre nicht genauer untersucht [5], dafür aber dies: Es ist für das ganze Leben bedeutsam zu wissen, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist.
197
Der letzte Akt ist blutig, wie schön die übrige Komödie immer auch sein mag [6]. Zuletzt wirft man uns ein paar Schollen Erde auf den Schädel, und man verharrt dort für immer.
198
Wir laufen sorglos in den Abgrund, nachdem wir irgendeinen Gegenstand vor uns hingeschoben haben, der uns daran hindern soll, ihn zu bemerken.
[XIV] UNTERORDNUNG UND GEBRAUCH DER VERNUNFT,
WORIN DAS WAHRE CHRISTENTUM BESTEHT
199
Wie ich jene Torheiten hasse, wie etwa, nicht an die Eucharistie zu glauben usw.
Wenn das Evangelium wahr ist und Jesus-Christus Gott ist, welche Schwierigkeit gibt es also dabei?
200
Ohne die Wunder, sagt der Heilige Augustinus [7], wäre ich kein Christ.
201
Unterordnung.
Man muß (diese drei Eigenschaften besitzen: Pyrrhoniker, Geometer, Christ. Untergeordneter. Zweifel. Und sie stimmen überein) zu zweifeln verstehen, wo es geboten ist, etwas als sicher annehmen, wo es geboten ist, indem man sich unterordnet, wo es geboten ist. Wer nicht also verfährt, begreift die Macht der Vernunft nicht. Es gibt welche, die gegen diese drei Prinzipien verstoßen, entweder, indem sie alles als gewiß und beweisbar ansehen, weil sie sich nicht auf Beweisführung verstehen, oder indem sie an allem zweifeln, weil sie nicht wissen, wo man sich unterordnen muß, oder indem sie sich in allem unterordnen, weil sie nicht wissen, wo man ein Urteil fällen muß.
202
Susceperunt verbum cum omni aviditate, scrutantes Scripturas si ita se haberent [8].
203
Die Führung Gottes, der alle Dinge mit Milde verfügt [9], besteht darin, die Religion in den Geist durch Vernunftgründe und in das Herz durch die Gnade einzupflanzen. Aber sie in den Geist und in das Herz durch Gewalt und Drohungen einzupflanzen, bedeutet, nicht die Religion, sondern den Schrecken einzupflanzen, terrorem potius quam religionem [10].
204
Wenn man alles der Vernunft unterwirft, wird unsere Religion nichts Geheimnisvolles und Übernatürliches mehr haben.
Wenn man an den Prinzipien der Vernunft Anstoß nimmt, wird unsere Religion unsinnig und lächerlich werden.
205
Heiliger Augustinus [11]. Die Vernunft würde sich niemals unterwerfen, würde sie nicht erkennen, daß es Umstände gibt, denen sie sich unterwerfen muß.
Es ist also richtig, daß sie sich unterwirft, wenn sie erkennt, daß sie sich unterwerfen muß.
206
Auch das wird den Verdammten zur Schande gereichen, daß sie sehen, wie sie durch ihre eigene Vernunft verdammt werden, vermöge derer sie beabsichtigt haben, die christliche Religion zu verdammen.
207
Jene, welche die Wahrheit nicht schätzen, nehmen den Widerstreit und die Unzahl derjenigen, die sie verleugnen, zum Vorwande, und deshalb erwächst ihr Irrtum nur aus dem Umstand, daß sie der Wahrheit oder der christlichen Nächstenliebe nicht zugetan sind, und so haben sie auch keine Entschuldigung dafür.
208
Der Widerspruch ist ein mangelhaftes Kennzeichen der Wahrheit.
Mehreren sicheren Dingen wird widersprochen.
Mehrere falsche werden widerspruchslos hingenommen.
Der Widerspruch ist ebensowenig ein Zeichen des Irrtums, als die Freiheit von Widerspruch ein Kennzeichen der Wahrheit ist.
209
Siehe die zweierlei Arten von Menschen unter dem Titel „Beständigkeit/ Fortdauer“ [12].
210
Es gibt wenige wahre Christen. Ich behaupte dasselbe über den Glauben. Es gibt viele, die glauben, aber aus Aberglauben. Es gibt viele, die nicht glauben, aber aus Liederlichkeit; wenige befinden sich in der Mitte zwischen beiden.
Ich befasse darin nicht jene, die im Besitze einer wahren Sittenfrömmigkeit sind, sowie all jene, die aus einem Gefühle des Herzens glauben.
211
Jesus Christus hat Wunder gewirkt, und dann die Apostel und die ersten Heiligen in großer Zahl, denn da die Weissagungen noch nicht erfüllt waren und durch jene vollbracht wurden, dienten nur die Wunder als Zeugnis. Es wurde vorausgesagt, daß der Messias die Heiden bekehren würde: wie wäre diese Prophezeiung in Erfüllung gegangen, hätten die Heiden sich nicht bekehrt? Und wie hätten sich die Heiden zum Messias bekehrt, wenn sie nicht gesehen hätten, wie sich jene letzten Prophezeiungen, die ihn beweisen, vollends erfüllten? Ehe er also getötet ward, auferstanden war und die Heiden bekehrt hatte, war nicht alles vollbracht, und deshalb bedurfte es der Wunder während all jener Zeit. Heute bedarf es wider die Juden sowie die Gottlosen keiner Wunder mehr, denn die in Erfüllung gegangenen Weissagungen stellen ein bleibendes Wunder dar.
212
Die Frömmigkeit ist vom Aberglauben verschieden.
Die Frömmigkeit bis zum Aberglauben treiben, heißt sie zerstören.
Die Ketzer werfen uns diese abergläubische Unterwerfung vor. Das bedeutet, genau das zu tun, was sie uns vorwerfen [13].
Es ist eine Gottlosigkeit, nur deshalb nicht an die Eucharistie zu glauben, weil man sie nicht sieht [14].
Aberglaube, an Lehrsätze zu glauben [15] usw.
Glaube, usw.
213
Nichts entspricht der Vernunft so sehr als diese Verleugnung ihrer selbst.
214
Zwei Extreme.
Die Vernunft ausschließen, nur die Vernunft zulassen.
215
Man hätte keine Sünde begangen, wenn man Jesus Christus ohne die Wunder [16] nicht geglaubt hätte.
216
217
Der Glaube vermittelt wohl etwas, was die Sinne nicht mitteilen, aber nicht das Gegenteil von dem, was jene wahrnehmen [18]; er steht über, und nicht gegen die Sinne.
218
Ihr mißbraucht das Vertrauen, welches das Volk in die Kirche hat, und macht ihnen etwas weis [19].
219
Man muß die Welt nicht selten ihrer allzu großen Fügsamkeit wegen tadeln. Das ist ein natürliches Laster, wie der Unglaube, und ebenso schädlich. Aberglaube.
220
Der letzte Schritt der Vernunft ist die Erkenntnis, daß es unendlich viele Dinge gibt, die über ihr eigenes Vermögen hinausgehen. Sie ist nichts weiter als schwächlich, wenn sie nicht so weit geht, dies anzuerkennen.
Wenn die natürlichen Dinge schon über die Vernunft hinausgehen, was soll man dann von den übernatürlichen sagen?
[XV] VORZÜGLICHKEIT DIESER ART
DES GOTTESBEWEISES
221
Gott durch Jesus Christus.
Wir erkennen Gott nur durch Jesus Christus. Ohne diesen Mittler wird jede Gemeinschaft mit Gott zunichte, durch Jesus Christus erkennen wir Gott. All jene, die Gott zu kennen behaupteten und ihn ohne Jesus Christus beweisen wollten, besaßen nur unzulängliche Beweise. Doch um Christus beweisen zu können, haben wir die Prophezeiungen, welches sichere und greifbare Beweise sind. Und diese Prophezeiungen, die sich durch ihr Eintreffen erfüllt und als wahr erwiesen haben, bezeichnen die Gewißheit jener Wahrheiten und folglich den Beweis für die Göttlichkeit Jesu Christi. Nur in ihm und durch ihn erkennen wir also Gott. Jenseits davon und ohne die Heilige Schrift, ohne die Erbsünde, ohne jenen notwendigen Mittler, der verkündet wurde und erschienen ist, kann man Gott nicht im geringsten beweisen und weder eine rechte Lehre noch eine rechte Moral vermitteln; aber durch Jesus Christus und in Jesus Christus beweist man Gott und vermittelt die Moral und die Lehre. Jesus Christus ist also der wahrhafte Gott der Menschen.
Aber wir erkennen zugleich unser Elend, denn dieser (menschliche) Gott ist nichts anderes als der Erlöser von unserem Elend. Deshalb können wir Gott nur im Bewußtsein unserer Sünden recht erkennen. Auch jene, die Gott gekannt haben, ohne ihr Elend zu kennen, haben nicht ihn gerühmt, sondern haben sich seiner gerühmt. Quia non cognovit per sapientiam, placuit Deo per stultitiam praedicationis salvos facere [20].
222
Einleitung.
Die metaphysischen Gottesbeweise liegen von der menschlichen Beweisführung so weit entfernt und sind derart schwierig, daß sie wenig Eindruck machen. Und wenn dies auch einigen nützen sollte, so würde dergleichen nur während jenes Augenblickes etwas nützen, da sie diese Beweisführung sehen, aber eine Stunde später fürchten sie, sich getäuscht zu haben [21].
Quod curiositate cognoverunt, superbia amiserunt [22].
223
Derselbe Dünkel [23] ist es, der aus der Erkenntnis Gottes ohne Jesus Christus entsteht und der darin besteht, ohne Mittler mit jenem Gott in Verbindung zu treten, den man ohne Mittler erkannt hat, während jene, die Gott durch diesen Mittler erkannt haben, ihr Elend erkennen.
224
Es ist nicht allein unmöglich [24], Gott ohne Jesus Christus zu erkennen, sondern unnütz obendrein [25]. Sie haben sich nicht von ihm entfernt, sondern sich ihm genähert [26]. Sie haben sich nicht gedemütigt, sondern quo quisque optimus eo pessimus si hoc ipsum quod sit optimus ascribat sibi [27].
225
Die Erkenntnis Gottes ohne die Erkenntnis des eigenen Elends bewirkt den Hochmut.
Die Erkenntnis des eigenen Elends ohne die Erkenntnis Gottes bewirkt Verzweiflung.
Die Erkenntnis Jesu-Christi steht in der Mitte, da wir in ihr sowohl Gott als auch unser Elend finden.
[XVI] ÜBERGANG VON DER ERKENNTNIS
DES MENSCHEN ZU GOTT
226
Das Vorurteil verleitet zum Irrtum. Es ist eine bedauernswerte Sache, alle Menschen nur über die Mittel und keineswegs über den Zweck sprechen zu sehen. Jedermann sinnt nur darauf, wie er seiner Stellung genügen kann, über die Wahl der Stellung und des Vaterlandes indes bestimmt das Schicksal.
Es ist eine beklagenswerte Sache, so viele Türken, Ketzer und Ungläubige der Lebensart ihrer Väter folgen zu sehen, aus jenem einzigen Grunde, weil man sie alle für das Vorurteil eingenommen hat, daß es so am besten sei. Und dieser Umstand ist es, der jedem seine Stellung als Schlosser, Soldat usw. bestimmt.
Aus diesem Grunde wissen die Wilden nichts mit der Landschaft der Provence anzufangen [28].
227
Weshalb sind mein Wissen und meine Größe beschränkt, und warum währt mein Dasein nur etwa einhundert anstatt vielmehr tausend Jahre? Welche Ursache hatte die Natur, mir ein solches Dasein zu verleihen und lieber dieses Mittelmaß als vielmehr ein anderes Maß aus jener Unendlichkeit, aus der das eine dem anderen vorzuziehen kein Grund besteht, auszuwählen, da kein Maß dem anderen gegenüber größere Anziehungskraft besitzt?
228
(Da man unmöglich allwissend sein und alles erfahren kann, was man von allem wissen könnte, muß man ein wenig von allem wissen, denn es ist bei weitem schöner, über jeden Gegenstand etwas zu wissen als alles über einen bestimmten Gegenstand. Diese Universalität [des Geistes] ist die allerschönste [29]. Wenn man beides zu erlangen verstünde – umso besser. Aber wenn man die Wahl hat, soll man das erstere wählen; und die Welt empfindet dies und tut dergleichen, denn die Welt ist oftmals ein guter Richter [30].
Meine Einbildungskraft läßt mich einen Quäker [31] hassen [32] wie auch jemand, der beim Essen prustet [33].
Der Einbildungskraft kommt große Bedeutung zu. Auf welche Weise sollen wir daraus Nutzen ziehen? Indem wir dieser Bedeutung folgen, weil sie natürlich ist? Nein, sondern indem wir ihr widerstehen werden.
Nichts zeigt die Eitelkeit der Menschen deutlicher als die Überlegung, welche Ursache und welche Auswirkungen die Liebe hat, denn die ganze Welt wird durch sie verändert. Die Nase der Kleopatra [34].)
229
Wenn man die Verblendung und das Elend des Menschen betrachtet, wenn man bedenkt, wie das gesamte Universum schweigt und der Mensch ohne Erkenntnis sich selbst überlassen ist und sich wie verloren in diesem Winkel des Universums befindet, ohne zu wissen, wer ihn dorthin versetzt hat und zu welchem Zweck er dorthin gekommen ist, was aus ihm nach seinem Tode werden wird, zu aller Erkenntnis unfähig; so ergreift mich ein Schauder, einem Menschen gleich, den man im Schlafe nach einer einsamen und furchtbaren Insel geschafft hätte und der, ohne sich zurechtzufinden und ohne jede Möglichkeit, von dort zu entfliehen, wieder erwachte. Und daraufhin erstaune ich, wie man in Ansehung eines solch elenden Zustandes nicht in Verzweiflung gerät. Ich erblicke andere Menschen von einer ähnlichen Wesensart in meiner Umgebung, und ich frage sie, ob sie besser unterrichtet seien als ich, und sie versichern, daß sie es nicht seien. Und daraufhin haben jene verirrten Elenden, nachdem sie sich umgesehen und irgendwelche Gegenstände des Vergnügens bemerkt haben, sich diesen hingegeben und angehängt. Ich meinerseits konnte demgegenüber keine Zuneigung fassen, und da ich bedachte, wieviel mehr äußerlicher Schein als andere Dinge an dem ist, was ich sehe, habe ich untersucht, ob dieser Gott uns nicht irgendein Zeichen seiner selbst hinterlassen hätte. Ich sehe mehrere einander widersprechende und folglich lauter falsche Religionen, eine einzige ausgenommen. Jede einzelne will kraft ihrer eigenen Autorität geglaubt werden und droht den Ungläubigen. Das ist also kein Grund, an sie zu glauben. Jeder kann dergleichen behaupten, jeder kann sich einen Propheten nennen. Aber ich kenne die christliche Religion, wo ich die Weissagungen entdecke, und dergleichen vermag niemand so einfach zu bewirken.
[1] Über die Terminologie dieses Begriffes siehe Fragment Nr. 680, Anm. Nr. 599. Im Zusammenhang mit dem „Wetteinsatz“ bezeichnen jene „zehn Jahre“ die Hoffnung des irdischen Lebens im Vergleich mit jener Hoffnung auf ein „ewiges Leben in ewiger Glückseligkeit“ (Fragment Nr. 680) nächst Gott.
[2] Die „Spielregeln“ (Wahrscheinlichkeitsregeln, Fragment Nr. 480) gestatten es auf rationelle Weise, die vorteilhafteste Wahl zu treffen, um in einer ungewissen Situation wirksam zu operieren. Sie werden in Fragment Nr. 680 im praktischen Gebrauch vorgestellt.
[3] Siehe Fragment Nr. 187.
[4] Wiederaufnahme des Titels desselben Abschnittes.
[5] Nikolaus Kopernikus hat im 16. Jhdt. die Theorie des heliozentrischen Weltbildes ausgearbeitet (die Sonne befindet sich im Zentrum des Universums und die Planeten umkreisen sie in derselben Zeit, mit der sie sich um sich selbst drehen). Siehe J. Mesnard „Pascal und Kopernikus“ in der Anthologie Vor, mit und nach Kopernikus, Paris, A. Blanchard, 1975, S 241-249.
[6] Aufsätze, I, 19, S 79-80:Das „Glück unseres Lebens“ darf „niemals einem Menschen zugesprochen werden, wenn man ihn nicht den letzten, und ohne Zweifel schwierigsten Akt seiner Komödie spielen gesehen hat. In allem Übrigen kann er eine Maske tragen (...), aber in dieser letzten Rolle, die der Tod und wir spielen, gibt es keine Heuchelei mehr [=ist kein Platz für Verstellungen mehr]“. Der Begriff der Komödie bezeichnet im 16. wie im 17. Jhdt. im eingeschränkten Sinne der komischen Bühnengattung alle Theaterstücke, die Tragödie ebenso wie die „Komödie“.
[7] Dieser Satz ist kein Textzitat des Heiligen Augustinus, welcher im übrigen behauptet, daß die menschliche Vernunft die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi nicht hätte gelten lassen können, wenn diese Ereignisse nicht gewesen wären „als Zeugnis (...) das Eintreffen der offenbarsten Wunder“ (Über den Gottesstaat, XXII, 7).
[8] Apg, XVII, 11: die Juden von Beröa „nahmen das Wort mit aller Bereitwilligkeit auf und forschten täglich in den Schriften, ob es sich so verhalte.“
[9] Siehe Weish, VIII, 1.
[10] „Eher den Schrecken als die Religion.“ Pascal hat diese lateinische Formel zweifellos aus dem Anfang eines Briefes des Heiligen Augustinus geformt (Brief 93, siehe Fragment Nr. 490), dessen Ausführungen er nicht teilt. Augustinus erklärte darin, daß er, nachdem er vergeblich versucht hatte, die donatistische Kirchenspaltung durch Verhandlungen einzuschränken, sich mit einem angemessenen Gebrauch der Drohung einverstanden gezeigt hatte – unter Zuhilfenahme weltlicher Machtmittel – und der Erziehung. Für Pascal ist der Zwang nicht alleine der wahren Religion unwürdig (er überläßt dieses Mittel den Heuchlern: siehe Fragment Nr. 241), sondern in diesem konkreten Sinne tyrannisch, als dieser, obzwar für die körperliche Ordnung höchst bedeutsam (vgl. Fragment Nr. 91 und 92), weder etwas mit der Ordnung des Geistes noch mit jener des Herzens zu schaffen hat.
[11] Brief 120, I, Nr. 3: „Wenn es vernünftig ist, daß, um einen Einblick in gewisse große Wahrheiten zu erlangen, die wir noch nicht begreifen können, der Glaube der Vernunft vorzuziehen ist, ist es einleuchtend, daß dieselbe Vernunft, die uns dies erkennen läßt, so schwach sie auch ist, ihrerseits Vorrang vor dem Glauben hat.“
[12] Siehe Fragment Nr. 318.
[13] In der ersten Abschrift hat Nicole das von Pascal Geschriebene folgendermaßen ergänzt: „diese Unterordnung in Angelegenheiten zu fordern, die keine Gegenstände der Unterordnung sind.“
[14] Nicole ergänzt: „weil man Jesus Christus nicht darin sieht; denn man muß ihn keineswegs sehen, obwohl er darin ist.“ Das ist die Lehre von der wahrhaften Gegenwart (Christi).
[15] Nicole vervollständigt: „zu glauben, daß Lehrsätze in einem Buch sind, obwohl man sie nicht darin sieht, weil man sie darin sehen muß, wenn sie sich darin befinden.“ Anspielung auf den Streit angelegentlich der fünf Lehrsätze im Augustinus von Jansenius, welche von Rom verworfen wurden, ohne daß die Stellen des Buches, wo sie stehen sollen, aufgezeigt worden wären. Pascal gesteht, daß diese Lehrsätze häretisch sind (Rechtsfrage, die zu entscheiden die kirchlichen Autoritäten befugt sind), aber um anzuerkennen, daß sie sich im Augustinus befinden (Frage der Tatsachen, wo alleine die Sinne entscheidungsbefugt sind), fordert er billig, daß man sie ihm darin zeigen möge. Über den Unterschied zwischen den „Punkten des Glaubens“ und den „Punkten der Tatsachen“ siehe XVIII. Provinzialbrief, S 367-378.
[16] Siehe Fragment Nr. 429.
[17] „Nun aber gebt nach, wendet euch mir zu, ich will euch nicht ins Angesicht lügen!“ (Hiob, VI, 28).
[18] Vgl. Fragment Nr. 212 über die Eucharistie.
[19] Nicole ergänzt: „daß dieser Glaube sie bewegt, sich zu überzeugen, daß Lehrsätze in einem Buch seien; ich versuche sie darüber eines Besseren zu belehren.“ Siehe Fragment Nr. 212. Jenes „ihr“ bezeichnet die Jesuiten, die behaupten, daß sich die fünf Lehrsätze Wort für Wort im Buche des Jansenius befinden und daß es ketzerisch sei, dergleichen zu leugnen (vgl. XVII. Provinzialbrief, S 333: „ihr mißbraucht eine Unzahl von Personen, indem ihr ihnen weismacht, daß jene Punkte, über die ihr einen so großen Lärm zu machen versucht, für den Glauben wesentlich sind“).
[20] Paulus, 1Kor, I, 21: „Denn da die Welt mit ihrer Weisheit Gott in seinerWeisheit nicht erkannte, gefiel es Gott, durch die Torheit der Heilsbotschaft die zu retten, die glauben.“
[21] Selbst wenn er hier nicht ihren logischen Wert, sondern nur ihre psychologische Tauglichkeit in Frage stellt, unterscheidet sich Pascal, indem er metaphysische Beweise für die Existenz Gottes außer Acht läßt, von der gesamten apologetischen Tradition. Übrigens „untergräbt er weniger die Argumente einer natürlichen Theologie, als daß er der Metaphysik jenen Anspruch, Gott zu ihrem Gegenstande zu machen, verweigerte“ (V. Carraud, Pascal und die Philosophie, Paris, PUF, 1992, S 348). Dieser Anspruch ist insbesondere jener von Descartes, der versichert, daß er „immer der Auffassung gewesen sei, daß diese beiden Fragen, bezüglich Gott und der Seele, die hauptsächlichen Fragen unter jenen waren, die eher durch die Überlegungen der Philosophie als der Theologie dargelegt werden müßten“ (Widmungsepistel der Medidationen, aus: Werke, AT, IX-1, S 4). Erinnern wir uns, daß das Dritte Buch seiner Medidationen den Titel Über Gott; daß er existiert trägt (ebdt., S 27).
[22] Sankt Augustinus, Predigt 141, 2: „Was die Wißbegier sie gelehrt hat, haben sie durch den Dünkel verloren.“ Sooft gewisse Philosophen die Existenz Gottes durch die Vernunft entdeckt haben, so haben sie nicht Gott, sondern lieber sich selbst gerühmt (siehe Fragment Nr. 175 und 221).
[23] „Derselbe Dünkel“ bezieht sich auf jenes am Ende des vorhergehenden Fragmentes erwähnte superbia.
[24] Vgl. Fragment Nr. 680: „wir erkennen weder das Dasein noch das Wesen Gottes, weil er weder Ausdehnung noch Grenzen besitzt.“
[25] Unnütz für das Heil. Siehe Fragment Nr. 690.
[26] Umschreibung von Fragment Nr. 230: jene, die behauptet haben, Gott ohne Jesus Christus zu erkennen, „haben sich vermessenerweise auf die Suche nach ihm begeben, so, als ob sie irgendeine Beziehung zu ihm hätten.“
[27] „Je besser man ist, desto schlechter wird man, wenn man es sich selbst zum Verdienst macht, wodurch man gut ist“ (Heiliger Bernhard, Predigten über den Lobgesang, LXXXIV).
[28] Aufsätze, I, 23, S 116(Anhang der Ausgabe von 1595): „Aufgrund der Vermittelung der Gebräuche geschieht es, daß jeder mit dem Ort zufrieden ist, wohin die Natur ihn verpflanzt hat, und daß weder die Wilden Schottlands etwas mit der Touraine, noch die Skythen etwas mit Thessalien anzufangen wissen.“
[29] Es ist jene Universalität des „Ehrenmannes“, der die Spezialisierung und Pedanterie ablehnt (siehe die Beschreibung der „universellen Geister“ in Fragment Nr. 486 und 532).
[30] Montaigne bewertet seine eigene wissenschaftliche Bildung folgendermaßen: „ein wenig von allem, aber nichts gründlich, recht nach Art der Franzosen“ (Aufsätze, I, 26, S 146).
[31] Quäker: quaken, im Zusammenhang mit Fröschen, hier im Sinne von Ausstoßen widerwärtiger Töne.
[32] Über diese Wirkung der Einbildungskraft, siehe Aufsätze, II, 12, S 595 („wenn wir neben uns lautes Kauen hören oder jemand sprechen hören, der eine verstopfte Stelle im Rachen oder in der Nase hat, darüber können sich manche so aufregen, bis sie Wut und Haß empfinden“) und Fragment Nr. 78.
[33] Furetière zitiert dieses Beispiel: „Man bläst seine Suppe, um sie abzukühlen.“
[34] Siehe Fragment Nr. 32 u. 79.
[35] Mögliche Unterteilung eines Gespräches über den Menschen (l‘ homme), wie bei den Fragmenten Nr. 230 (H9), 231 (H3) und möglicherweise 111 ([H] 13).
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