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Frau Kriemhild schrak im Morgengrauen
empor aus blut’gem Nachtgesicht:
Ein schöner Falk, den voll Vertrauen
sie zart nach ihrem Sinn bericht’
glitt arglos in den freien Lüften;
doch sieh! aus dunklen Wolkengrüften
zwei Adler schattengleich entfliehn
und würgen, ach! den Falken kühn!

Weh mir! Weh mir! voll bittrer Klagen
beweint sie die verruchte Tat
da sturmbewegt, dem grimmen Hagen
ihr wundes Herz entdecket hat,
wie in des Nibelungen Busen
den liebreich ihre Arme kosen, 
das Heldenherz verwundbar schlägt
und sterblich sich im Busen regt!

Horch ach! schon ruft das Horn, es sammeln
die kühnen Scharen sich zur Jagd.
Den Abschiedskuß, in süßem Stammeln
beut sie dem Helden unverzagt.
„Verweile, ach!“, so ruft sie bebend,
„geliebtes Herz, verweile! lebend
kehrst du, Geliebter, nicht zurück!
Voll Unheil ist mein Seherblick!“ 

Es ruft das Horn zum zweiten Male!
Zu Pferd! Zu Pferd! Der Abschied naht!
ruft ringsherum die Helden alle
zu kühnem Spiel und Waffentat!
Nocheinmal trinkt voll süßer Minne
durchglüht von ahnungsreichem Sinne 
das Weib des Gatten Liebesblick
und ahndet schaudernd das Geschick! 

Indes der Nibelung’ verweilet
nicht länger an des Weibes Brust!
Froh schlägt sein Herz, da er enteilet
zum Waidwerk voller Manneslust!
Durch lichte Nebelschleier wallen
der holden Morgensonne Strahlen,
die leuchtend auf dem Helden ruht!
In seinen Blicken, welche Glut! 

Behend gebietet er dem Rosse,
das feurig mit der Hufe scharrt;
so reitet er voran dem Trosse
der froher Jägerfreuden harrt!
Der Balmung hängt ihm stolz zur Seite,
beim Waidwerk wie im wackern Streite
des Nibelungen edles Schwert
das tausendfach die Schlacht bewährt! 

Nun frisch fürbaß durch reiche Triften!
Des Waidmanns Rüden flugs voran!
Im Odenwald, in freien Lüften
da lagern sie auf grünem Plan.
Und Siegfried, reich an Kraft und Stärke
übt königlich des Waidmanns Werke;
und keiner ist dem Helden gleich,
fällt er den Ur mit flinkem Streich! 

So trägt der kühne Nibelunge
beim Spiel den höchsten Preis davon.
Nur ihm frohlockt des Sängers Zunge!
Nur ihm erklingt der Saiten Ton!
Doch ach! das Auge des Verräters
giert nach dem Blut des Drachentöters
und Hagen itzt, voll argem Sinn
tritt heuchelnd vor den Helden hin! 

„Dem edlen Siegfried ist’s geraten“,
so hebt mit arger List er an,
„wo ist, der in des Waidmanns Taten
den Sachsenheld bezwingen kann?
Man sagt, daß auch im Lauf, zur Wette!
der Herr nicht seinesgleichen hätte,
Ihr dort nicht minder tüchtig seid!
Ei nun, was gilt’s! Seid Ihr bereit?“ 

„Wohlan!“, versetzt mit heiterm Sinne
nun Siegfried, allen Argwohns bar. 
„Laßt sehen, wer den Lauf gewinne;
so nennt uns denn das Ziel, fürwahr!“
„Gern will ich’s tun“, versetzt nun Hagen,
„Euch gern des Wettlaufs Ziel ansagen!
Seht Ihr im Wald dort jenen Quell?
Auf, ihm soll’s gelten, frei und schnell!“ 

Auch Gunter, König der Burgunden
hat heimlich sich nun zugesellt;
dem Tronjer durch Verrat verbunden
sich heuchlerisch den Sinn verstellt.
„Der Quell? Wie? Lasset denn uns eilen
nicht länger träge uns verweilen!
Auf, auf, Gefährten, es ist Zeit!
Es gilt! Wohlan! Seid ihr bereit?“ 

Doch Hagen, voll verschlag’ner Tücke
so zu dem Drachentöter spricht:
„Herr Siegfried, Eure Waffenstücke
beim Laufe, ei! vergeßt mir nicht!
Denn wie man hört, mit voller Bürde
quer über Stock und Stein und Hürde
behielt’ Herr Siegfried noch den Sieg!
Wär’s möglich, daß der Schein mich trüg’?“ 

„So sei es denn!“, versetzt nun jener
und Hagens schwarzer Busen schwillt!
Die dunklen Pfade fördern schöner
wo rasch der reine Sinn gewillt!
Er sieht nach Guntern, still verschworen,
dem Freund, zur Freveltat erkoren,
und scharf, des Mörders Falkenblick
kehrt auf sein Opfer schnell zurück! 

Und siehe! auf dem weißen Linnen
erblickt er das ersehnte Mal!
Sieh, ha! Triumph! mit kalten Sinnen
gedenket er Kriemhildens Qual!
Allein der Nibelunge ahnet
nicht das Verhängnis, das sich bahnet
und wähnet nicht das nahe Graun!
Sein Herz, nur kindliches Vertraun! 

„Auf denn, es gilt!“, und mutig streben
sie kraftvoll nach des Laufes Ziel.
Und ob in vollen Waffen eben
dünkt Siegfried jener Lauf nur Spiel!
Vor Guntern weit, noch weit vor Hagen
erreicht er, sonder Müh’ und Plagen
den Quell, wo er der beiden harrt
wie es des rechten Siegers Art! 

Da jene nun den Born erreichen
lädt ritterlich zum Trunk er ein;
wie es gereicht zum Ehrenzeichen
dem Freund, die Freunde zu erfreun!
Wie die Gesellen nun am Tranke
sich baß erquickt, mit falschem Danke
den Freund betörn und argem Sinn,
kniet jener vor die Quelle hin! 

Der reine Held! In Demut sinket
zum Trunk das goldgelockte Haupt;
O Götterdämmerung! wie winket
sie huldreich jedem Held, der glaubt!
Horch! Leise flüstern sanfte Winde
dort in den Blättern jener Linde
die schattenreich den Born umfängt
und Schatten dicht an Schatten drängt! 

O Schauder! Kalte Todesschatten
umwehen jäh der Stätte Grund.
Die Geister längst vergangner Taten
tun warnend ihre Frevel kund!
Ihr Götter! mit bewehrtem Arme
und nervicht, fest im Todesschwarme
faßt Hagen nach dem Mörderspeer!
Rings Geisterschatten um ihn her! 

Ihr Himmel, kreißt! Die Engel weinen!
Und finster glüht des Tronjers Blick!
Er nahet sich dem Held, dem reinen
von rückwärts, schleichend, Stück für Stück!
Nocheinmal sprüht sein Auge Feuer!
Er faht sein Ziel! und ungeheuer
knirscht laut sein Zahn in wilder Kraft!
Der Arm zum grimmen Wurf sich strafft! 

Der Speer entweicht! Im Mark erschüttert
so kreißet Siegfried, todeswund;
und mit verhülltem Haupt, verbittert,
steht stumm der König von Burgund!
„Niemals mehr“, klagt er, „wird auf Erden
ein solcher Mann geboren werden!
Er war zu groß für unsre Welt,
drum hat die Gottheit ihn gefällt!“ 

O Göttersohn! O hehres Leben!
das blutend nun dem Tod geweiht!
Nie wieder wird es einen geben,
der Siegfried gleicht an Herrlichkeit!
Er war der Letzte jener Helden
die vormals noch, aus höhern Welten,
als Sterbliche der Erdkreis trug!
Er tat seinem Geschlecht genug! 

Nocheinmal regt sich der Gehenkte!
Wie überirdisch glänzt sein Blick!
Und der verklärte Geist versenkte
sich fern in künftiges Geschick! 
„O weh! Die Welt seh’ ich in Flammen,
den Saal im Feuer … Fluch, Verdammen!
So richtest du sie, großer Gott!“
Der Held am Waldesgrund war tot! 

Es schien die Erde selbst zu trauern,
das Sonnenlicht im Nebel schwand.
Die Vögel schwiegen, rings in Schauern
lag dunkel, weit und still das Land.
Und Donner rollten in der Ferne
am Himmel bebten Mond und Sterne;
und sterbend sank der Heldensohn
titanengleich vor Gottes Thron!



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