Von einem Dichter wird gewöhnlich erwartet, daß er eben dichte – daß er nämlich Verse vortrage, anmutige Geschichten schreibe und auf solche Weise mancherlei zum allgemeinen Ergötzen seiner Mitmenschen beitrage. Diese Art der Betrachtung ist keine grundsätzlich unrechte: dennoch mag man dabei zuweilen übersehen, daß der Dichter, nämlich insoferne er Mensch und Weltenbürger ist, nicht nur im Reich der Imagination und Phantasie, sondern auch in der Realität zu Hause ist, d. h. eingebunden ist in Raum, Zeit und Gesellschaften, denen er sich je nach Maßgabe seiner persönlichen Verhältnisse zu stellen hat. In nicht wenigen Menschen mag indes noch immer jener romantische Gedanke vorwalten, daß der Dichter den Bruch mit der Realität bewußt herbeiführe und ihn gerade jenes Vermögen, in der Abstraktion von Raum, Zeit und allen Prädikamenten, die uns mit der Gegenwart und dem realen Dasein verknüpfen, das freie Spiel des Geistes zu entfalten, ja erst befähige, seinem dichterischen Auftrag gerecht zu werden. Diese Vorstellung ist indes nur zum Teil richtig: denn selbst in der größten Abstraktion darf der wahre Dichter unsere menschliche Realität nie völlig aus den Augen verlieren, da ein dichterisches Werk in letzter Konsequenz ja erst dadurch lebendig wird, indem es jenen Bezug zur tatsächlichen Welt, zum tatsächlichen Menschen herstellt und wir uns dadurch eben angesprochen und berührt fühlen. Werke, die diesen Aspekt vermissen lassen und in der bloßen Fiktion beheimatet sind, werden niemals in der Lage sein, den Leser wahrhaft zu berühren, weil hier eben jene letzten „Berührungspunkte“ fehlen, vermöge derer sich jemand in seiner Eigenschaft als substantielles Wesen mit einem Werk des reinen Geistes zu identifizieren vermag.
Gehen wir nun einen Schritt weiter, so erscheint es schon weniger verwunderlich, wenn ein deutscher Gelehrter die literarische Generation der Romantiker etwa einmal als „überaus hellsichtige Betrachter der Zeitverhältnisse“ bezeichnete. Dies bedeutet aber auch, daß jene abseits ihres dichterischen Lebens aktiv am gesellschaftlichen Leben ihrer Zeit teilnahmen, daß sie in den Salons der gebildeten Welt ihre gesellschaftlichen und politischen Auffassungen vertraten und in nicht gar wenigen ihrer Werke auch ihre diesbezüglichen Gesinnungen zum Ausdruck brachten. Was hier im konkreten Zusammenhang über die Romantiker gesagt wird, kann im Analogieschluß wohl auf den Dichter schlechthin angewandt werden: der Dichter, insofern er Teil seiner Zeit und Gesellschaft ist, hat eine eigene Meinung und einen eigenen Standpunkt zu den realen Zeitverhältnissen und reflektiert diese auch mehr oder weniger in seiner eigenen Dichtung.
Dieser Umstand, der im integralen Kontext allerdings oft verlorengeht oder erst gar nicht bemerkt wird, hat mich dazu bewogen, den Versuch zu wagen, eine Reihe von Briefen und Aufsätzen zu verfassen, in denen aktuelle Gegenstände aufgegriffen und aus der Sichtweise des Dichters behandelt werden. Diese Sichtweise soll durchaus gesellschaftskritisch verstanden werden und ist aufgrund von ausgebreitetster Meinungsunabhängigkeit frei von übergeordneten Gesellschaftszwängen, manipulativer Kurzsichtigkeit oder jener so unerquicklichen „Des Brot ich eß’, des Lied ich sing“-Mentalität; gleichwohl ist diese Sichtweise nur subjektiv zu begreifen und vertritt einzig und allein den Standpunkt des Dichters!
Im Interesse einer möglichst freien Rezeption habe ich bewußt eine einfache, klare und transparente Sprache gewählt, da ich glaube, daß gerade in diesem Projekt Gegenstände und Fragen behandelt werden, auf welche viele Menschen eine Antwort oder auch nur eine eigene, gefestigte Meinung suchen. Neue Aspekte und Facetten zu beleuchten, Denkanstöße zu bieten und vielleicht den einen oder anderen in seinen Meinungen zu bestärken – aber auch einen klar definierten Standpunkt in Hinblick auf kontradiktorische Ansichten zu vertreten, dies sind die vorzüglichsten Absichten dieses Versuches. Möge er dazu beitragen, unsere Gesellschaft zur Selbstkritik und Eigenverantwortung anzuhalten und die Welt dadurch vielleicht ein kleines Stückchen besser zu machen!
Salzburg, den 3. März 2014
Der Verfasser
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