Tod: Dein Urteil ist gefallen, Sokrates!
Es hat das Volk der biederen Athener
anjetzt des Frevels schuldig dich erkannt
die Jünglinge der Polis zu verführen
und außerdem die Götter der Hellenen
mit losem Schimpf und Lästerung zu schmähen!
Nicht konnte deine Tugend dich bewahren
der du, Unseliger, dich stets gerühmt
und alle Mühe war zuletzt vergeblich
dem mächtigsten der Fürsten zu entrinnen
der ehern allem Sterblichen gebeut!
Nun sieh’ dich vor, o Greis! – bald wirst du sterben,
das Erbteil alles Menschlichen ist dein!
Geh’ hin, deines Geschlechtes Los erfülle,
und schaudere vor meinem Angesicht!
Sokrates: Nun hört mich an, ihr Männer von Athen! –
die ihr gehört die Rede des Meletos,
vernommen, wie Anytos und Lykon
mich anzuklagen, aufgetreten sind!
Wann hätte je ich Mühen aufgewendet
durch Schliche und durch arglistigen Trug
mich unseren Gesetzen zu entziehen
die also nun dem Tode mich geweiht?
Hab’ nicht vielmehr ich ausgeharrt im Kerker,
von dort die treusten Freunde fortgewiesen
da sie, in banger Sorge für mein Leben
den Weg zur Flucht mir schon bereitet hatten?
Frohlockst du nun, es hätte meine Tugend
mich nicht bewahrt vor deinem mächt’gen Arm,
so wisse, daß gewärtig allerwege
und immerzu ich deines Nahens war!
Und bin ich nicht ein Greis von siebzig Jahren,
der ungeachtet jenes herben Loses
das mich in arger Bosheit nun betroffen
in kurzer Frist dahingeschieden wäre?
Den Tod doch fürchten, Männer, ist nichts andres,
als weise zu bedünken sich, wo man
es doch nicht ist, denn es ist wohl ein Dünkel
zu wissen etwas, das man doch nicht weiß!
Denn niemand weiß, was der Tod ist, beim Zeus
und nicht einmal, ob er nicht für uns Menschen
das größte ist von unsern Gütern allen!
Ihr aber fürchtet ihn, als ob gewiß
der Übel größtes er der Menschen wäre!
Ein Sterblicher war ich von Anbeginn:
so hab’ denn keinen Grund ich, dich zu fürchten!
Tod: O Sokrates, Verruchter, frevle nicht!
Wie kannst voll Gleichmut du den Tod erwarten
und ihn auch noch als Gut bezeichnen, wenn
ein Sterblicher doch niemals wissen kann
was dann geschieht, sobald mein mächt’ger Arm
an deine arme Menschenseele rührt?
Bist du so kühn, daß frevelsüchtig du
ein Sterblicher! – zu wissen können glaubst
ein Gut wäre mein Los den Menschen gar?
Was gibt dir die Gewißheit, arger Mann
daß du vor mir nicht zu verzagen brauchst?
Sokrates: Nun also, lasset denn uns gleich erwägen
wie manchen schon dein herbes Los betroffen
der aufrecht, in untadeligem Wandel
sein Leben nur der Tugend stets geweiht!
Denn da ich morgens aus dem Hause ging,
und meine Sache vor Gericht verteidigt
da gaben keine Zeichen mir die Götter
wie es gewöhnlich zu geschehen pflegte,
wenn meine Stimme des Gewissens mir
den Irrtum meines Handels also zeigte!
Von allem Tadel rein und frei von Schuld
tret’ ich vor die Athener Bürger hin!
Wie nun! – So können also wir den Tod
mitnichten anseh’n als der Übel größtes,
wo doch die Götter selbst uns auferlegt
als Sterbliche das Leben zu beenden!
Tod: Gar weise dünkst, o Sokrates, du dich!
So sag’ mir denn, weshalb die Menschen dann
mein Angesicht nun allerwege fürchten
und ewig zittern, wenn zuletzt ich nahe
des Lebens Zoll wie billig einzufordern!
Sokrates: So hör’ mich an! – Sind deine Worte doch
ein Zeugnis nur, daß allgemach die Tugend
zu deren Wandel ich euch stets ermahnt
allein die Menschen vor der Todesfurcht
bewahrt, und zu besiegen sie vermag!
Drum siehe! – Ist’s die Tugend nicht allein
von der du sagst, sie hätte einmal nicht
vor deinem mächt’gen Arme mich bewahrt –
die Tugend, die euch erst erkennen läßt
euch, Bürger von Athen, daß nimmermehr
ein Sterblicher dem Tod entrinnen kann?
Weshalb also, o Tod, soll man dich fürchten
wenn um die Tugend stets man sich bemüht
und süße Ruhe die Gewißheit bringt:
kein Übel ist der Tod, Erlösung nur!
Tod: So glaubst du, Kühner, daß zu Unrecht mich
die Menschen als der Übel größtes fürchten?
Sokrates: Ich glaub’ es wohl! So laß’ uns nun erwägen
wie Ursache wir denn genugsam haben
zu glauben, wie der Tod im Gegenteil
kein Übel, sondern nur ein Gut uns sei!
Und wär’ es nur, daß wir allein hingingen
um einzugehen in ein bloßes Nichtsein,
der Tod nur gliche einem ew’gen Schlaf
wie wenn wir ohne Traum und Nachtgesicht
dem Schlummer uns’rer Nächte uns ergeben!
Und wäre es, o Tod, nur dies allein:
dann müßten nicht nur gewöhnliche Menschen,
sondern den größten König wohl hienieden,
den glücklichsten, den je die Erde trug,
wir fragen: siehe, und bekennst du nicht
daß, so dein Leben aufrecht du betrachtest
die Tage, die da glücklich dir verfließen
gar leicht gezählt sind, und die übrigen
die minder angenehm als ew’ger Schlaf
gar zahlreich seien, so, daß leichtlich man
dahingibt jene Tage diesem Schlaf!
Tod: Du wähnst mich zu besiegen? Hüte dich,
Vermessener! –
Sokrates: – Wohlan, ein Mensch bin ich!
Und also sterblich – doch was liegt daran
wenn man zeitlebens tugendsam gelebt!
Ja mehr noch – ist’s, wie allgemein man sagt
daß nun der Tod nur eine Wanderung
von hinnen sei an einen andern Ort
und dort all die Verstorbenen jetzt sind
die vor uns in die Unterwelt gebannt;
nun sagt, ihr Richter, welch größeres Gut
nur möchte es auf Erden immer geben?
Bedenkt! – wo immer einer von uns nun
dort schließlich seine wahren Richter trifft,
den Minos und den Radamanthys sieht
Aiakos auch und den Triptolemos
und die Halbgötter alle, welche immer
gerecht gewesen sind in ihrem Leben;
oder auch mit dem Orpheus umzugehen,
Musäos, Hesiod und Homeros
wie teuer möchtet, sagt, ihr dies erkaufen?
Ich wenigstens wollt’ gerne oftmals sterben
könnt’ ich dort leben in Gemeinschaft mit
dem Odysseus, dem wackern Sisyphos,
und viele andre möcht’ einer noch nennen
wo man mit Weisen in Glückseligkeit
die Zeiten teilt als ewig und unsterblich!
So mögt ihr denn, Athener, Hoffnung fassen
im Tode einst auch ohne Furcht zu sein;
erkennen, daß es für den guten Mann
kein Übel gibt im Leben noch im Tode.
Drum trage dieses Eine ich euch auf,
bevor ich euch für jetzt verlassen werde:
daß ihr euch um die Tugend stets bemüht
wie ich es euch im Leben wohl gelehrt!
Es ist genug: den Schierling bringe man,
den ihr, Richter Athens, mir zugedacht:
denn Zeit ist’s nun, von dieser Welt zu scheiden!
So gehen denn wir hin: ich, um zu sterben,
und ihr, zu leben noch! – Bedenkt es wohl!
Wer aber nun von uns das Bess’re wähle,
das weiß nur Gott allein! Nun lebet wohl!
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