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LESEPROBE

Nur wenigen Menschen unter Gottes Sonne wird die seltne Gnade zuteil, die Liebe in all ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit kennenzulernen, in ihren süßesten Freuden ebenso wie ihrem herben, unaussprechlichen Weh! War da nun immer jemand, über den das ganze, unendliche Maß des Liebesschmerzes ausgegossen wurde, so bin ich es selbst gewesen; im Angesichte dieser hohen, unwiderstehlichen Allgewalt, wie sie die arme, zitternde Seele umfängt und ganz und gar einnimmt, verstummen alle übrigen Dinge in demutsvoller Ehrfurcht, und wie Staub bläst sie des Menschen Geschicke vor sich her! Sie vermag nämlich gleicherweise schön wie grausam zu sein; wie es nun herging, daß ein junger Mensch in ihre allumstrickenden, verfänglichen Netze geriet und darüber zutiefst unglücklich ward, davon will ich jetzt erzählen – so gut, als ich dazu immer nur imstande bin – um dir, verständnisvolle Seele, auf das lebhafteste vorzustellen, daß wahre Liebe stets nur die höchsten und edelsten Opfer fordert – und damit vielleicht auch verstehen wirst, daß eine für all ihre wunderlichen Spielarten empfindsame Seele im Zustande der allerhöchsten Verzweiflung und unendlichen Kummers nicht länger fortleben kann. In jenem unglücklichen Menschen nämlich, lieber Leser, magst du bereits ahndungsvoll den Erzähler der folgenden Geschichte erkannt haben – dem es nun, in den wahrscheinlich letzten Stunden seines Lebens, alleine darum zu tun ist, den Menschen ein Zeugnis dessen zu hinterlassen, was hochherrliche Liebe zuweilen über uns vermag; und wie ich auch hier nur unschuldig in all jene Dinge verstrickt ward, die mein Leben schon so früh dem Tode zeitigten, davon will ich dir nun, gute Seele, getreulich berichten – in der Hoffnung und dem innigsten Wunsche, daß dir einst die ganze Herrlichkeit und Lust der Liebe aufgehen möge!
Es begann alles an einem überaus heitern Frühlingstage, und ich hätte es später nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen vermocht, warum ich damals gerade den Weg zu jenem verhängnisvollen Birnbaume einschlug. Der Morgen – es war an einem Sonntage – war mit einer ungewöhnlichen Klarheit erwacht; in den Zweigen der anmutig begrünten Bäume sangen die Vögel allenthalben lustig in einem fort, Aurora lachte munter vom blauesten Himmel, und über die Dächer der Stadt herein grüßten die Berge, welche in der Ferne ihre schneebekränzten Häupter über dem herrlich grünen Tale erhoben. Unter den fröhlichsten Gedanken wanderte ich, nachdem ich noch rasch mein Frühstück genommen hatte, vor die Häuser der Stadt hinaus. Wer nur vermag es sich vorzustellen, wie mir so recht das Herz aufging, indem ich, mich zuweilen im Kreise drehend und nach der Stadt zurückblickend, über welche deutlich die Türme des Domes sowie die anmutige Feste Hohen*** emporwuchsen, das frische, blühende Tal mit hellen Augen betrachtete und so immerzu fortschritt! So gelangte ich nach einem guten Weilchen, indem ich weiter wacker zuschritt, an ein weites Feld, welches in der Umgegend als W*** bekannt und ein paar Meilen vor der Stadt gelegen war, in dessen Mitte ein in voller Blüte stehender Birnbaum seine Äste wie duftige Engelsarme gleichsam nach dem Himmel zu strecken schien. Wie war mir da doch so heiter und fröhlich zu Mute! Während ich mich noch so meinem erwählten Ziele nahe, gewahre ich plötzlich, zu meinem nicht geringen Erstaunen, daß eine Gestalt im Schatten des Baumes ruhte! Wie ich nun immer näher und näher schreite, konnte ich in derselben Gestalt deutlich ein außerordentlich hübsches, junges Mädchen unterscheiden, das, jenem Baume zu Füßen, auf einer dort eigens zur gemächlichen Rast aufgepflanzten Bank saß. Indem ich, wie es meiner Gewohnheit entsprach, mit einem knappen Gruß, ohne es weiter zu beachten, an ihm vorüberging, hielt ich vor einem unweit davon gelegenen Feldstein, in welchen ich die folgenden Verse eingemeißelt fand:

Erstmals gepflanzt von Römerhand.
ward er verdorrt, stets ein neuer entstand.
so zeugt er mit Blüte – Frucht – und neuer Blüte
von Gottes Kraft und Gottes Güte.

Indem ich noch so dastehe und zunächst noch in einer kränklichen Anwandlung über den unprosodischen Polymeter lächle, kommt mir plötzlich wieder jener alte Mythos in den Sinn, der sich an dieselben Worte knüpft.
Tief in dem mächtigen ***berg bei S*** nämlich befindet sich jener große deutsche Monarch – jener Kaiser Karl der Große, von welchem uns das Rolandslied so bedeutungsvoll erzählt – in einer jener zahllosen Höhlen, welche das steinerne Herz des Berges durchpflügen, in einem tausendjährigen Schlafe! Dort sitzt er, mit seinem Gefolge, rings um einen steinernen Tisch, um welchen sich sein langer, weißer Bart während des Schlummers in unaufhörlichem Wachsen geschlungen; alle tausend Jahre nun erwacht der alte Kaiser aus seinem tiefen Schlafe, blickt mit müdem Auge um sich her, und allsogleich frägt er seine Bedienten: „Fliegen die Raben immer noch?“ „Ja, o König!“ antworten dann die Diener, und ein tiefer Seufzer dringt aus allen Kehlen, sodaß der ganze Berg in seinen Festen ächzt und erbebt, und abermals müssen nun tausend Jahre vergehen, ehe der greise Schläfer wieder erwacht! Künden die Diener aber nun eines Tages: „Nein, o König! die Zeit ist gekommen! Die Raben fliegen nicht mehr um den Berg!“ dann erhebt sich der ganze schlafende Hofstaat, und unter herrlichem Gepränge tritt der alte Kaiser aus den steinernen Hallen des Berges ins glänzende Tageslicht hervor; dann aber wird er seinen güldenen Schild an den alten Birnbaum hängen, und das Goldene Zeitalter – jenes große, herrliche Tausendjährige Reich, von dem uns die Offenbarung kündet, wird anheben, und nahe werden die Tage sein, an denen sich das Ende aller irdischen Zeiten erfüllen wird durch den ewigen Triumph der himmlischen Heerscharen über die alte Schlange, und Friede und Seligkeit werden herrschen unter dem Menschengeschlechte für immerdar.
Wie ich nun noch in derlei Betrachtungen vertieft dastehe, dann aber sogleich fieberhaft überlege, wie es nun am besten anzustellen sei, ohne selbst lächerlich zu erscheinen, erklang in meinem Rücken erstmals jene zauberhafte Stimme, wie sie so ganz auf den Grund meiner Seele drang – mich fragend, ob ich nicht etwa ein Weilchen an ihrer Seite zu rasten wünschte! Da wandte ich denn nun wie innerlichst erschrocken das Haupt und versicherte, daß ich dergleichen soeben im Sinne gehabt, und ließ mich sogleich, wenn auch etwas zaghaft, an ihrer Seite nieder. Indem wir uns nun beide neugierig, und, wie es schien, auch mit dem innigsten Wohlbehagen beäugten, fiel mir auf, daß sie ein, wie es weiter schien, soeben frisch gepflücktes Blumenbouquet in ihrem Schoße liegen hatte, und ich wagte es, nur um etwas zu sagen, sie dessenthalben anzugehen. „Ach“, lachte sie darauf leichthin, „der ist ja doch leider für keinen Buhlen nicht; der ist für mein kleines Töchterchen, heut‘ konnt‘ ich’s nicht mitnehmen, und da bring‘ ich ihm nun eben Blumen mit nach Haus, woran es denn jedesmal seine helle Freude hat!“ All das sagte sie mit einer solch wunderbaren Leichtigkeit, daß es mir sogleich in Süßigkeit das Herz durchbebte. „Ei Fräulein“, hub ich daraufhin verwundert an, „bist doch selbst noch von außerordentlicher Jugend; mußt ja schon sehr früh Mutter geworden sein!“ „Nun ja“, entgegnet‘ sie unter flüchtigem Erröten, „so was kommt ja nun manchmal vor, auch wenn es eben nicht in unserer Absicht gelegen. Du kannst dir sicher gut vorstellen, daß es für ein junges Ding nicht eben immer leicht war, immer und überall tugendhaft zu bleiben, sintemalen einem alle den Hof machen und mit Worten schöntun und schmeicheln und allezeit versichern, daß man eben nicht gerade häßlich ist – „
So flogen denn die Worte hin- und wider, eines ergab das andere, und so fanden wir uns gar bald in dem wunderbarsten Gespräche begriffen. Ich erfuhr allmählich, daß meine schöne Nachbarin Fräulein von C. heiße und nicht allzuweit von hier, nur etwa eine Viertelstunde Weges, im Hause ihrer Eltern wohne. Sie unterließ es, klug wie sie war, nicht, mir den nämlichen Wohnort sogleich auf das lebhafteste zu bezeichnen. So saßen wir, uns weiter unterhaltend, in der süßesten und vertraulichsten Unterredung beisammen, und es konnte nicht ausbleiben, daß ich mich bald bis über beide Ohren in das reizende Geschöpf verlieben mußte! Auch glaubte ich, aus mancherlei Worten und Gebärden ihrerseits darauf schließen zu dürfen, daß auch sie mir in einer gewissen Art und Weise zugetan war, insbesondere, da sie mich fort und fort ganz innig mit ihren schönen Augen anstrahlte und auf etwas zu warten schien. Indes, ich war noch nie einer von jener Sorte Mensch gewesen, die es leichthin über sich brachten, ihren innerlichsten Gedanken und Wünschen auch den entsprechenden Ausdruck zu verleihen, und so befleißigte ich mich wie gewohnt der umsichtigsten Zurückhaltung, der festen Überzeugung, daß kecke Aufdringlichkeit allen Mädchen höchst lästig und widerwärtig wäre. Dabei fiel mir auf, daß Fräulein C. mich während unseres Gespräches ein- um das andere Mal mit ihren Händen leicht berührte, was mir indes sehr wohlgefiel, wenn ich ihre zarten Kontiguitäten auch gleich aus angeborener Schüchternheit nicht zu erwidern wagte! Das Ganze zog sich, unter den heitersten und anmutigsten Verwicklungen, ungefähr bis gegen Mittag hin. Die Sonne stand unterdessen schon hoch, es flimmerte zuweilen über dem frühlingstrunknen Tale, da erhob sich das Mädchen plötzlich fast erschrocken an meiner Seite, versichernd, jetzt unverzüglich heimzumüssen – ihr Töchterchen werde ihrer bereits sehnlichst in Erwartung sein, überdies wolle sie durchaus nicht, daß sich die guten Eltern etwa ihretwegen bekümmern müßten! Indem sie noch, wie es den Anschein hatte, sich zu besinnen schien, ob sie noch etwas Artiges zum Abschiede sagen wolle, funkelte sie mich unentwegt mit ihren grünen Katzenaugen auf das allerlieblichste an; jeder dieser Blicke – so zum wenigsten schien es mir – kam einer heimlichen Aufforderung gleich, sie doch nur anzufassen, zu berühren, sie endlich liebevoll in den Arm nehmen zu wollen! In derlei Dingen nur wenig erfahren, wußte ich zu nichts anderem Zuflucht zu nehmen, als sie nur unberedt und verwirrt immerfort anzustarren, wobei mir ihre außerordentliche Schönheit erst jetzt so recht aufs Herz fiel und ich eben dadurch in nur noch größere Verlegenheit geriet! Zuletzt bemerkte sie meine Unbeholfenheit wohl, verstand dies allerdings meisterlich zu verbergen und reichte mir unter schalkhaftem Lächeln eine jener Blumen dar, welche sie für ihr Kind gebrochen hatte, mit dem Bemerken, gut auf dieselbe achtzuhaben, und, sollte ich sie hin und wieder betrachten, vielleicht auch ein bißchen an sie zu denken. Alsdann, nach einem Blick, der mir bis in die innerste Seele drang, schied sie von mir und wandelte anmutigen Ganges über die Wiese davon. Ich meinerseits blieb noch eine gute Weile auf demselben Platze hocken und fühlte, daß sich mit diesem holden Wesen die Flammen der Liebe in meinem Busen entzündet hatten!




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